Wer als Kind mit dem Künstler Martin Kippenberger am Esstisch aufwächst, landet wohl unausweichlich in der Kunst. So ergangen ist es der Direktorin des mumok, Karola Kraus, die das Museum für Moderne Kunst Stiftung Ludwig Wien seit 2010 führt. Schon als langjährige Leiterin der Kunsthalle Baden-Baden hatte sich Kraus vor allem der zeitgenössischen Kunst, überraschenden, publikumswirksamen Themen und der Kunstvermittlung verschrieben und führt dieses Anliegen nun in Wien weiter. Wir sprachen mit der Woman with Purpose über berühmte Sammlerinnen, ihren Zugang zur Kunst und die Ausstellungen, auf die sie sich besonders freut.
Frau Kraus, auf welches Bild schauen Sie, wenn Sie morgens aufwachen?
Ich blicke auf ein Selbstporträt von Martin Kippenberger. Dieses Gemälde hat für mich eine besondere Bedeutung, da Kippenberger mich an die zeitgenössische Kunst herangeführt hat. Die Begegnung mit ihm war für mich der Auslöser für die Entscheidung, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen? Oder die Kunst zu Ihnen?
Ich hatte das Glück, dass die Kunst schon sehr früh Teil meines Lebens war: meine Eltern haben Anfang der 1970er-Jahre begonnen, Werke von Künstlern des deutschen Informel zusammenzutragen. Unser Haus in dem kleinen Industriestädtchen St. Georgen im Schwarzwald war damals eine Begegnungsstätte für Künstler und kunstinteressierte Freund*innen unserer Familie. Es gab hitzige Diskussionen über Kunst, die mein Leben und das meiner Geschwister prägen sollten. Nach dem frühen Tod unseres Vaters führten meine Geschwister und ich die Sammelleidenschaft unseres Vaters gemeinsam mit unserer Mutter weiter und begannen, Werke von Künstler*innen unserer Generationen zusammenzutragen. Seit 2006 präsentieren wir unsere Sammlung in wechselnden Konstellationen in unserem Kunstraum, in leerstehenden Ladenlokalen und ehemaligen Einzelhandelsgeschäften sowie in öffentlichen Parkanlagen in unserer Heimatstadt.
Sie sind seit 2010 Direktorin des Wiener mumok. Macht es einen Unterschied, ob Museen von Frauen geführt werden? Was ändert sich für Künstlerinnen?
Mein Team und ich haben in den letzten Jahren ganz bewusst die sammlungspolitische Zielsetzung verfolgt, verstärkt Arbeiten von Künstlerinnen in die von Männern dominierten Sammlungsschwerpunkte – von der Pop Art und der Malerei der 1970er-Jahre bis zur Gegenwartskunst – zu integrieren. So fanden zentrale Werke u. a. von Evelyne Axell, Monika Baer, Tina Girouard, Sine Hansen, Jann Haworth, Tess Jaray, Jutta Koether, Kiki Kogelnik, Elke Krystufek, Lee Lozano, Ree Morton, Ulrike Müller, Miriam Schapiro, Sylvia Sleigh, Cosima von Bonin oder Maja Vukoje Eingang in die mumok Sammlung. Auch war und ist es mir ein Anliegen, im mumok Frauen zu protegieren. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Museum sind Frauen und es gibt keinen Gender Pay Gap. Generell kann man aber vom Geschlecht einer Führungskraft keinen Unterschied in der Programmierung eines Museums ableiten.
In den Führungspositionen im Kunstbetrieb mögen Frauen an Einfluss gewonnen haben. Aber wie sieht es bei den privaten Sammlungen aus. Gibt es heute vermehrt auch Sammlerinnen?
Es ist erfreulich, dass Frauen auf allen gesellschaftlichen Ebenen an Einfluss gewinnen und dass auch der Kunstbetrieb nicht mehr ausschließlich in Männerhand liegt. So werden beispielsweise die Wiener Bundesmuseen von 10 Frauen und 5 Männern geleitet und es gibt sehr viele Galeristinnen, die hervorragende Arbeit leisten. Was die bedeutenden Sammlerinnen betrifft: historisch gesehen gab es die schon immer. Denken Sie nur an die Renaissancefürstin Isabella d’Este, an Gertrude Vanderbilt Whitney, deren Sammlung den Grundstein des Whitney Museums bildet, an Peggy Guggenheim oder an Ihre Landsfrau Hedy Hahnloser-Bühler, um nur einige zu nennen.
Welche Rolle spielt Mut in ihrem Job und wie hat dieser Ihnen geholfen dorthin zu kommen, wo Sie heute stehen?
Natürlich braucht man Mut und Durchsetzungskraft, genauso wie Empathie und ein gutes Gespür für neue und vielversprechende Künstler*innen und künstlerische Entwicklungen. Dies sind Eigenschaften, die ich bei meinen Eltern bewundert habe, die ohne eine entsprechende Vorbildung begonnen haben, sich für das Deutsche Informel zu interessieren, was für die deutsche Provinz der damaligen Zeit nicht wirklich naheliegend war.
Die Künstlerin/der Künstler, die/der Sie zurzeit am meisten bewegt.
Derzeit beschäftige ich mich intensiv mit den Werken des afroamerikanischen Shootingstars Adam Pendleton, der in zwei Wochen im mumok seine erste Museumsausstellung in Europa eröffnen wird. Wir befinden uns gerade in einer äußerst intensiven Aufbauphase, die das gesamte Team in Atem hält.
Sie haben sich im mumok vor allem auch dafür stark gemacht, mehr osteuropäische Kunst aufzunehmen. Warum war Ihnen dies wichtig?
Aufgrund seiner geopolitischen Lage im Zentrum Europas hat das mumok schon sehr früh seinen Auftrag darin gesehen, in der sammlungspolitischen Ausrichtung die Brückenfunktion zwischen West- und Osteuropa als USP anzunehmen und daher die Erweiterung des Bestandes an Werken aus Osteuropa als zentrales Anliegen definiert. Aber nicht nur die Sammlung hat einen herausragenden Osteuropaschwerpunkt, auch mit Ausstellungen von Július Koller, Nikita Kadan oder Emília Rigová konnten wir ein Schlaglicht auf osteuropäische Kunstszenen werfen.
Können Sie uns von einem Projekt erzählen, das Ihnen momentan besonders viel Freude macht, für das sie sich besonders engagieren?
Als ich bei der documenta14 erstmals die farbenintensiven Collagen von Elisabeth Wild gesehen habe, war ich derart begeistert, dass ich alle Hebel in Bewegung setzte, um eine Ausstellung mit der damals 95jährigen Künstlerin zu organisieren. Wild, die übrigens auch jahrelang einen Antiquitätenladen in Basel führte, suchte stets nach den perfekten Komponenten für ihre Collagen, die sie aus populären Lifestyle- und Hochglanzmagazinen zusammenstellte. Das Ergebnis sind umwerfende Arbeiten im DIN-A4-Format, die an kosmische Visionen und imaginäre Traumwelten erinnern. Anfang Mai eröffnen wir nun die Ausstellung Elisabeth Wild. Fantasiefabrik. Alle ausgestellten Arbeiten wurden von Wild 2020 kurz vor ihrem Tod in Zusammenarbeit mit unserer Kuratorin Marianne Dobner ausgewählt. Die Ausstellung ist damit nicht nur die erste umfassende Retrospektive Wilds, sondern ebenso die letzte von ihr gestaltete – eine Entdeckung für Wien!