Während in den Museen immer mehr Kunstwerke von Frauen ausgestellt werden, sind Frauen im Kunsthandel immer noch unterrepräsentiert und unterbezahlt. Die Kunsthistorikerin Diandra Donecker war mit Ende 20 bereits Leiterin der Abteilung Fotografie beim Berliner Kunst- und Auktionshaus Grisebach. Nun mit nur Anfang Dreissig leitet die gebürtige Hessin die deutsche Kunst-Institution und ist eine der wichtigsten Kräfte des deutschen Kunstmarkts – und eine der wenigen weiblichen. Diandra Donecker, unsere Woman with Purpose, über inspirierende Begegnungen, das „Thomas-Prinzip“ und warum sich in der Kunst immer etwas entdecken lässt.
Sie sind mit Anfang Dreissig eine der wichtigsten Führungspersönlichkeiten auf dem deutschen Kunstmarkt. Wie war es, in diese Rolle zu schlüpfen?
Komischerweise fühlte es sich von Anfang an sehr natürlich an. Ich denke, das liegt vor allem daran, dass ich mich dem Hause Grisebach, dem Gründer Bernd Schultz und meinen KollegInnen so verbunden fühle. Mit dem guten Rückenwind und Vertrauen in mich aus dem Team und dem Wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können, hatte ich eine gewisse naive Sorglosigkeit, ich durfte mich sicher fühlen. Zudem wächst man natürlich Tag für Tag in eine Rolle hinein, durch Entscheidungen, die es zu treffen und Herausforderungen – besonders in den zwei Jahren der Pandemie -, die es zu bewältigen gilt – inkl. der Fehler, die man auch macht. Manche Unsicherheit verfliegt, aber eine Portion gesunder Zweifel & Demut vor der Aufgabe sollten bleiben.
Was schätzen Sie an der Arbeit in der Kunstwelt?
Die Auktionswelt bietet so viel Abwechslung – es gibt jede Saison viel Neues: neue Kunden, neue Kunstwerke. Es ist ein bisschen wie der Wechsel der Jahreszeiten. So wird es nie eintönig, ganz im Gegenteil: man wird reich beschenkt mit neuen Begegnungen und Geschichten – zu der Kunst, aber auch zu den Menschen und Sammlern dahinter.
Was war eine Begegnung, die Sie zuletzt motiviert hat?
Gerade komme ich zurück aus Paris von der PARIS PHOTO, der Messe für Fotografie. Wann immer ich in Paris bin, besuche ich meinen Freund, Georg Stefan Troller, der am 10. Dezember in diesem Jahr 101 Jahre alt wird. Er ist Schriftsteller, Fernsehjournalist, Dokumentarfilmer. Geboren in Wien, hat George den Holocaust überlebt, befreite als US Soldat das KZ Dachau. Sein Wesen ist von solcher Feinheit und Wissbegierde, er begegnet Menschen vorurteilsfrei, voller Güte und Wertschätzung. Wenn ich ihn, wie zuletzt vor ein paar Tagen, treffe, dann haut mich das jedes Mal um. George, der die schönsten, verschmitzten Augen hat, die ich kenne, ist ein Weltbürger und seine Art, nach all dem, was er durchmachen musste, das Leben zu leben, ist Vorbild und Motivation. Dass er mir die Nähe und Verbundenheit unserer Freundschaft gewährt, bedeutet mir unendlich viel.
Ist es im Jahr 2022 immer noch schwierig, als Frau in der Kunstbranche ernst genommen zu werden?
Ja und Nein. Auch hier kommt es darauf an, wie man mit der Situation umgeht. Ich, zum Beispiel, habe nicht darauf geachtet, wer über mich, damals 2019 mit 29 Jahren zur Geschäftsführerin und Gesellschafterin gemacht, die Augenbraue hochzog. Sollen Sie doch! Die Kunstbranche ist noch immer stark männlich dominiert, gerade „ganz oben“ in den Führungspositionen. Zudem ist der Kunsthandel noch recht klassisch und konservativ. Nur so lässt sich erklären, dass ich heute noch immer einer der wenigen Frauen an der Spitze eine Kunsthandels-Unternehmens bin. Dass ich da bin, inspiriert hoffentlich viele andere junge Frauen, ihren Weg zu machen. Männer suchen oft Männer als ihre Nachfolger aus, das bekannte „Thomas-Prinzip“, wie es die AllBright Stiftung nennt. Der deutsche CEO umgibt sich am liebsten mit Spiegelbildern seiner selbst, das gilt es zu durchbrechen. Und in meinem Fall hat der heute 80-jährige Gründer von Grisebach, Bernd Schultz, mich ausgesucht und dieses Prinzip durchbrochen.
Wie kann man Ihrer Meinung nach noch mehr junge Menschen für Kunst und Auktionen begeistert?
Das wichtige Stichwort lautet wohl „Schwellenangst“. Viele junge Kunstinteressierte fühlen sich eher ausgeschlossen, das System wirkt verschlossen oder gar elitär. Diese Schwelle gilt es zu durchbrechen. Wir haben seit 2020 einen Podcast mit der Journalistin Rebecca Casati, der einzige Podcast eines Auktionshauses weltweit. Dort sprechen wir mit Autoren, Musikern, Kuratoren über „DIE SUCHT ZU SEHEN“. So lautet der Titel des Podcast, der beschreibt, was wir damit bezwecken wollen: Kunst will angesehen werden, es löst etwas in Dir aus, bewegt Dich, rührt Dich - sei es die Postkarte, die wir im Rahmen unserer Spiegels eingeklemmt haben, das Poster von einer Ausstellung oder auch das Bild oder Foto, das man irgendwann erwirbt. Kunst geht um Sehen und Entdecken – das hat erstmal und lange nichts mit Preisen und einem Kauf zu tun. Wenn es uns gelingt, diese Freude und Begeisterung zu vermitteln, Grenzen abzubauen und spannende Zugänge – auch über Online Only Auktionen mit Werken unter 3.000 Euro sowie Veranstaltungen wie Lesungen, Talks und Ausstellungen – zu schaffen, dann erreichen wir auch das junge Publikum.
Haben Sie einen Rat für angehende Kunstsammler:innen?
Gehen Sie viel in Museen und Galerien – die zudem kostenlos ihre wechselnden Ausstellungen präsentieren. Scrollen Sie die Auktionen durch, die man online mit einem Klick ansehen kann - weltweit. Lesen Sie viel und schauen Sie sich so viel wie möglich an und um. Wer langsam kaufen will, kann gut bei Kunstvereinen beginnen, die auch jetzt, Richtung Weihnachten, ihre Jahresgaben präsentieren. Eine gute Chance, relativ günstig zeitgenössische Positionen zu entdecken und zu kaufen.
Die Künstlerin, die Sie zurzeit am meisten bewegt.
Kürzlich entdeckte ich die Malerin Gertrude Abercrombie – eine Surrealistin. Ihre Werke sind magisch, so als sieht man jemanden beim Träumen zu oder schlüpft in einen fremden Traum hinein. Als Frau, geboren 1909, steht sie über ihr Werk hinaus auch für ein Selbstbewusstsein und eine Hartnäckigkeit, diesen Weg als Malerin in ihrer Zeit zu bestreiten, die ich nur bewundern kann.
Welche Rolle spielt Mut in Ihrem Job als (weibliche) Führungskraft in der Kunstwelt?
Ob männlich oder weiblich – auf jeden Fall muss man Mut haben – den Mut zu entscheiden. Eine Führungsrolle verlangt nach Haltung und Überzeugung. Ohne Mut kann man den unternehmerischen Herausforderungen kaum entsprechen.
Mode und Mut. Wie mutig darf die Garderobe in der Kunstbranche werden?
Unbedingt. Die Kunstbranche erlaubt Muster-Mix, Farbexplosionen – anders als in anderen Berufsfeldern, muss man sich hier nicht schlicht kleiden. Es geht ja sehr um Persönliches und Persönlichkeit. Insofern auch die Einladung, diese zu zeigen. Kleidung ist (auch) ein Kommunikationsmittel.
Der beste Rat, den Sie in Ihrer Arbeit jemals erhalten haben.
Sei immer du, immer authentisch. Egal, wer da vor dir steht, wieviel ein anderer weiss oder mehr weiss zu einer Künstlerin oder einem Künstler bzw. Werk: sei du selbst. Kunst ist so brutal nah an einem dran, man kann da nicht gekünstelt sein oder so tun als ob. Kunst ist und fordert: Wahrheit.
Was kommt als Nächstes?
Für Grisebach geht es um den weiteren Ausbau der Internationalisierung und Digitalisierung. Wir wollen uns stetig überprüfen, besser und erfolgreicher werden, natürlich wachen und schlicht noch mehr Menschen erreichen und begeistern. Persönlich freue ich mich sehr auf ein Projekt mit Philipp Keel, dem Schweizer Künstler und Verleger (Diogenes). Er wird unsere Galerieräume in der Fasanenstrasse zum Gallery Weekend 2023 bespielen und mit seinem Züricher Studio – samt seiner Kunst und den Objekten – quasi komplett bei uns einziehen.